Zagreb ist eine Stadt voller unheimlicher Legenden und Mythen. Dass dort Drachen, Hexen, Gespenster und Mitglieder geheimnisvoller Bruderschaften ihr Unwesen treiben, erfährt man aber erst, wenn man bei Dunkelheit mit Iva Silla durch Gornji Grad spaziert. Die Stadtführerin von Secret Zagreb veranstaltet in den Abendstunden eine Geister- und Drachentour namens Mysterious Zagreb.
Ich habe Iva vor ungefähr einem Jahr bei ihrer Adventsführung Zagreb Christmas Carol kennengelernt und treffe sie zu Beginn meiner Kroatisch-Sprachreise zufällig genau bei dieser Tour wieder. Sie erinnert sich an mich und lädt mich spontan zu ihrer düsteren Reise in Zagrebs Geisterwelt ein.
Treffpunkt beim Steintor in der Kamenita 9
Kurz nach 19 Uhr treffen wir uns vor der alten Stadtapotheke beim Steintor (Kamenita vrata) in der Zagreber Oberstadt. Iva hat ihr rotschwarzes Gothic-Outfit gegen eine lange schwarze Kutte ausgetauscht. In der Hand hält sie eine rot flackernde Laterne.
Auf Englisch erzählt sie mir und ein paar anderen internationalen Gästen von dem mysteriösen Marienbild im Steintor. Wie durch ein Wunder hat es im Jahr 1731 einen verheerenden Stadtbrand überstanden und seitdem werden ihm übernatürliche Kräfte zugesprochen. Wichtig sei auch, meint Iva, die kleine Marienkapelle im Tor niemals in der Mitte des Weges zu betreten, sondern immer rechts oder links. Die Mitte bringe Unglück!
Von Drachen und Drachenanbetern
Etwas gruselig wirkt auch unser Treffpunkt mit dem Wappen „K crnom orlu“ (zu Deutsch: Zum schwarzen Adler). Die 1355 gegründete Stadtapotheke (Gradska ljekarna) in der Kamenita 9 ist im altehrwürdigen Stil belassen und verkauft neben zeitgemäßen Medikamenten Drachen- und Feentinkturen.
Wenn man als nächstes von Iva erfährt, dass gleich nebenan die Zagreber Drachengesellschaft Treffen abhält, die auch mal auf einem Friedhof stattfinden können, verwundern solch seltsame Mittelchen wenig. In Zagreb aber anscheinend nichts Ungewöhnliches, schließlich sei sogar der Bürgermeister Milan Bandić Mitglied dieser sagenumwobenen Vereinigung.
Vielleicht beschwört die Drachengesellschaft ja den Drachen, der angeblich unter Zagreb schlummert und die Erde zum Beben bringen kann, wenn er aus seinem Tiefschlaf erweckt wird. Im Jahr 1880 war er wohl hellwach, als bei einem Erdbeben in der Stadt etliche Gebäude zerstört wurden.
Mysterious Zagreb: geheimer Gang nach Medvedgrad?
Wir gehen ein paar Schritte weiter zur Kirche Sv. Marka in Kroatiens schmuckem Regierungsviertel und lernen noch mehr über Zagrebs düstere Unterwelt. Zum Beispiel kursieren Legenden über einen unterirdischen Gang, der die Kirche mit der Festung Medvedgrad auf dem Gebirgszug Medvednica verbinden soll. In den gespenstischen Hallen lebt die schwarze Königin und hütet einen Schatz. Nur einer will ihn gefunden haben, sagt Iva, aber als er von seinem Ausflug zurückgekommen sei, waren seine Taschen voller Erde und sein Leben habe ein böses Ende genommen.
Die Geister aus der Oberstadt Gornji Grad
Die schwarzbemantelte Geschichtenerzählerin geleitet uns dann ins richtige Mysterious Zagreb – gefühlt weit weg von den Weihnachtsmärkten auf der Strossmayer Promenade und dem Plato Gradec. In den Gassen hinter dem Trg Sv. Marka (Platz des Heiligen Markus) flackern nur Gaslaternen, kaum eine Menschenseele kreuzt unseren Weg.
Am Fenster eines Hauses zeige sich immer wieder die Silhouette einer weißen Frau, wahrscheinlich eine nahe Verwandte des kroatischen Nationalhelden Josip Jelačić. Wir bekommen sie leider nicht zu Gesicht, denn ein Schild weist darauf hin, dass wir auf keinen Fall einen Fuß auf das Grundstück setzen dürfen … Dass im Zagreber Stadtmuseum manch arme Kreatur ein verfluchtes Dasein fristen musste, wird spätestens klar, sobald man die angemalten Fenster auf den ehemaligen Klostermauern entdeckt.
Zagreb als Zentrum der Hexenverbrennung
Zagreb war im Übrigen ein Zentrum der Hexenverbrennung. Liest man den Romanzyklus „Grička vještica“ ( „Die Hexe von Grič“) der kroatischen Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Marija Jurić Zagorka (1873 – 1957), kann man tiefer in diese Materie eindringen. Wie Iva allerdings betont, sind die Geister der Hexen noch lange nicht tot zu kriegen: Die Damen halten am liebsten nachts in finsteren Kapellen an Dreier-Weggabelungen schwarze Messen ab und wenn man zufällig dazustößt, sollte man auf gar keinen Fall zurückschauen und sich in Acht nehmen.
Nächtlicher Friedhofsbesuch
Wir sind mutig. Dank Iva landen wir sogar auf einem alten Friedhof in Gornji Grad. Die Gebeine der Toten seien längst verschwunden. Wohin, wisse niemand. Die Grabsteine stehen aber noch heute – Steinmetzarbeiten von Totenschädeln und Illuminaten-Augen in Dreiecken inklusive. Während Iva zwischen den Gräbern mit Worten und Gesten fabuliert, spazieren ein Mann und sein Hund an uns vorbei. Auch die Drachengesellschaft liebe diesen Ort, aus welchen Gründen auch immer.
Die meisten Geschichten, die Iva sonst noch zu ihrer Geisterstunde preisgibt, behalte ich natürlich für mich. Wer dank meiner Eindrücke neugierig geworden ist, buche für 10 Euro Mysterious Zagreb, statte der kroatischen Hauptstadt einen Besuch ab und lausche rund eine Stunde und 45 Minuten Ivas lebhafter Erzählkunst. Sie macht wirklich einen tollen Job! (as)
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