Wer hätte gedacht, dass ich einmal mit dem Motorroller auf Brac durch die Gegend düsen würde! Ich nicht. Aber ich lasse mich gerne vom Leben überraschen. Beim Lebensfreude-Seminar mit Coach Belinda Zaborsky begegnet mir Hans aus Salzburg, der genauso unternehmungslustig ist wie ich und mehr von der Insel sehen möchte als Bol und den berühmten Strand Zlatni rat.
Hans wird also während der Woche auf Brač mein Reisebegleiter. Außerhalb der Seminarzeiten unternehmen wir viel zu zweit. Am 7. September mieten wir uns einen superschnellen Scooter.
DER ANGSTHASE AUF DEM SOZIUS
Ehrlich gesagt kostet es mich eine Menge Überwindung, auf einem Motorroller auf Brac herumzukurven! Seit mein Onkel auf seinem Motorrad tödlich verunglückt ist, hege ich eine Art Phobie gegen motorisierte Zweiräder. Ich erinnere mich am Scooter-Verleih in Bol: Am 13. September ist sein fünfjähriger Todestag.
Hans hat auch einen Motorradführerschein und besteht darauf, einen Roller mit etwas mehr PS als gewöhnlich auszuleihen. Ich springe über meinen Schatten, denn erstens will ich raus aus Bol und zweitens hat es mir im zarten Alter von 14 einen Heidenspaß gemacht, mit meinem Onkel durch die Gegend zu heizen.
„Wäre ich bloß unten am Strand geblieben!“, denke ich nach den ersten Kurven, die sich serpentinenartig den karstigen Berg nach oben schlängeln. Vor jeder Kurve gebe ich Hans die Anweisung, vorsichtig zu fahren. Sobald ich Gegenverkehr bemerke, stehe ich kurz vor einer Panikattacke. Der Unfall meines Onkels ist nämlich in einer Kurve passiert. Ein Auto von vorne hat sie geschnitten und meinen Onkel auf die Hörner genommen. Diese Gedanken sind natürlich nur mein persönliches Familientrauma, aber rechts von der Straße sehe ich auch einen tiefen Abgrund. Woher soll ich denn wissen, dass der Kerl am Steuer die Spur halten kann? Ich kenne ihn erst seit drei Tagen. Eigentlich kenne ich ihn überhaupt nicht!
Hans muss bis Pučišća damit leben, dass hinter ihm auf dem Motorroller ein Angsthase kauert! Dem Angsthasen fällt trotzdem auf, was für eine grüne Insel Brač ist. Der frische Fahrtwind riecht nach Kiefern und mediterranen Kräutern. Ich inhaliere den Duft, was mich ein bisschen entspannt.

MIT DEM MOTORROLLER AUF BRAC: DER ANGSTHASE WIRD MUTIGER
Als wir im mondänen Hafenort Pučišća eine längere Rast einlegen, um die Steinmetzschule zu besichtigen, spüre ich, dass Hans von meinen ängstlichen Allüren und ständigen Anweisungen ziemlich genervt ist. Am liebsten will er richtig Tempo geben wie zu Hause in Österreich auf dem Motorrad. Sonst hat er keine Beifahrerin, schon gar nicht so eine wie mich.
Zu seinem Glück beruhige ich mich auf dem zweiten Streckenabschnitt, obwohl es anfängt zu tröpfeln. „Wenn ich heute den Löffel abgebe, dann hatte ich wenigstens vorher Spaß und war in Kroatien“, sage ich mir in Gedanken. Allmählich empfinde ich es als Vergnügen, mit dem Motorroller auf Brac zu sein!

REGENWETTER IN POSTIRA UND SPLITSKA
Das Wetter präsentiert sich wechselhaft. In Postira machen wir halt und trinken in einer überdachten Strandbar einen Cappuccino. Regentropfen prasseln auf die türkise Adria. Wir sitzen gemütlich im Trockenen und ich schaue zu, wie sich der Himmel des Südens mit dichten Wolken zuzieht. Wir lassen uns Zeit mit dem Cappuccino. Als wir Richtung Splitska aufbrechen, hat es sich fast schon wieder abgeregnet.
Splitska liegt am Rande einer spitz zulaufenden Bucht. Bei einem Spaziergang an der Promenade genieße ich die mystische Stimmung auf dem Übergang zwischen Regen und Sonne. Ich fotografiere verlassene Boote und Wasserspiegelungen. Viel mehr gibt es nicht zu sehen.

Also setzen wir unseren Motorroller wieder in Bewegung und gehen kurz vor Supetar an einem einsamen Strand baden. Es trifft genau meinen Geschmack, dass uns das Gefährt so flexibel macht. Wenn es uns an einem Ort gefällt, halten wir an. Wenn nicht, fahren wir einfach weiter. Supetar durchkreuzen wir nur flüchtig und steigen nicht ab vom Roller. Wir wissen, dass uns die Fähre drei Tage später zurück nach Split bringt. Das Ende einer Kroatien-Reise hat mir übrigens noch nie gefallen!
VON DONJI HUMAC NACH VIDOVA GORA

Lieber lasse ich mir auf dem Motorroller den Fahrtwind um die Nase wehen. Kurz vor dem Einbruch der Abenddämmerung erreichen wir Donji Humac – eines der kleinsten Dörfer auf Brač, wo ein paar Kinder auf dem Kirchplatz spielen.
Wir suchen uns ein Plätzchen auf der Mauer vor der Kirche Sv. Ana und überblicken die grüne, bergige Landschaft. Endlich scheint wieder die Sonne. In dieser Idylle bekommt man das Gefühl, die Zeit wäre vor ein paar Jahrzehnten stehen geblieben. Hektik, Rastlosigkeit und Fortschritt wirken hier oben unter dem blauen Himmel ganz weit weg.

Ehe es dunkel wird, steuern wir Vidova Gora, den höchsten Berg der Insel, an. Wir haben die Aussicht auf Bol ganz für uns alleine. Die Dämmerung färbt den Himmel jetzt gelborange. Wir wissen: Bald ist es stockduster in Dalmatien.
Die letzten Minuten des Sonnenuntergangs erleben wir auf der Serpentinenstraße nach Bol. Ich bitte Hans, neben der Leitplanke zu stoppen, denn es wäre schade, mir die romantischen Fotomotive einfach so entgehen zu lassen.

Vor den letzten paar Kilometern unseres Ausflugs fotografiere ich eines meiner besten Bilder des Lebensfreude-Urlaubs, der mich lehrt, dass es sich lohnt, mit dem Motorroller auf Brac herumzukreuzen. Die Ausblicke aufs Meer sind phänomenal und das Schicksal wollte anscheinend, dass ich diesen Reisebericht schreibe anstatt mit Hans in den Abgrund zu stürzen. (as)
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